Landesmusikfest 2017 (Weitere Fotos...)
"Festival der Zupfmusik" bringt Bewegung und Begeisterung in Hessens Landesmusikakademie in Schlitz.
Das Landesmusikfest des BDZ Hessen, das am 10. und 11. Juni 2017 in der Hessischen Landesmusikakademie in Schlitz stattfand, war eine mehr als erfreuliche Bestandsaufnahme, und wird bei den Teilnehmern aus den Orchestern, bei den Vereinsmitgliedern sowie den Organisatoren noch lange nachwirken, vielleicht sogar zum Nachdenken anregen. Das Konzept ging jedenfalls voll auf! Es sollte ein Musikfestival "zum Anfassen und Mitmachen" werden – aber auch eine Plattform für die Orchester, um sich vorzustellen, sich gegenseitig zuzuhören, gemeinsam zu musizieren und Informationen und Anregungen rund um die Zupfmusik zu "inhalieren". In den beiden Tagen wurde tatsächlich eine Menge "aufgemischt" und in Bewegung gebracht.
Präsidentin des BDZ Landesverbandes Hessen e.V. Gisela Schmidt
Keith Harris, ehemaliger Landesmusikleiter, Dirigent beider Hessischen Landesorchester und diverser hessischer Vereinsorchester hat als Kenner der "Zupfmusikszene Hessen" das Landesmusikfest miterlebt und berichtet darüber:
Der erste Tag des "Festivals der Zupfmusik" begann um 11 Uhr nach einem kurzen Willkommensgruß des "Schlossherren" der Hessischen Landesmusikakademie Schloss Hallenburg in Schlitz, Direktor Lothar Behounek, und der Präsidentin des Landesverbandes Hessen, Gisela Schmidt, mit dem ersten Orchesterkonzert (von insgesamt vier), ging dann aber sofort mit dem Wesentlichen – der Musik – weiter.
Zupfensemble Spätlese Hessen (ZSH) Leitung Stefanie Acquavella-Rauch
Das Zupfensemble "Spätlese" Hessen, das mit Werken von Salvetti, Maciocchi, Zambrano und de Giovanni den schwungvollen Auftakt machte, begann vor fünf Jahren als ein von Stefanie Acquavella-Rauch und Johannes Tappert betreutes, auf die besondere Interessenlage von erfahreneren Spielern ab 50 Jahren ausgerichtetes Projekt. Als ein nunmehr offizieller Bestandteil des vielfältigen Angebotes des BDZ Hessen und drittes Landesorchester steht Spätlese voll im Konzept des LV Hessen, der seit den allerersten Weiterbildungsmaßnahmen am Ende der 70er bewusst um generationsübergreifende Integration bemüht gewesen ist. Schon seit damals sind Nachwuchssorgen ein aktuelles Thema, bloß, wie Orchesterleiterin Stefanie Acquavella-Rauch schmunzelnd feststellte, nicht bei Spätlese.
Das von Brigitte Michelbach geleitete Zupforchester Schwalmstadt e.V. führte danach vor, wie man durch sorgfältige Programmplanung das Publikum zu Gedanken über die Vielfalt des ZO-Repertoires anregen kann. Das kontrastreiche Programm bestand aus Musik von Sartori, Eberhard Malitius’ und Rainer Vollmann, aber auch vom beliebten Gießener Dirigenten, Gitarristen, Musikpädagogen und ehemaligem Landesverbandsvorsitzenden Thomas Schäfer. Letzteres war ein vorbildliches Beispiel für gelebtes kreatives Kunsterleben – Musik eigener Machart von Freunden umgesetzt.
Zum Schluss des Konzertes genoss man die Musikalität der traditionsreichen "Spessartfreunde" aus Neu-Isenburg, unter der sachkundigen und handwerklich gekonnten Leitung des neuen Dirigenten Christian Zielinski. Mancher Alt-HZOler erlebte eine leicht wehmütige Freude beim Hören von Jürgen Ulrichs "Ostinato ritmico II", eines Stückes von "Canarios", der ersten CD des Landeszupforchesters.
Nachmittags fanden gleich vier sorgfältig geplante und durchgeführte und von je rund 35 Interessierten besuchte Workshops statt.
Ariane Lorch stellte ihre Organisationsbegabung beim Bodypercussion-Workshop beeindruckend unter Beweis. Nachdem sie alles auf fast magische Art in Bewegung gesetzt hatte, brauchte Ariane nur scheinbar unbeteiligt lächelnd dem von ihr konstruierten Geschehen zuzusehen. Zur gleichen Zeit zog Chris Acquavella, gelegentlich von Stefanie Acquavella-Rauch sprachlich unterstützt, die Teilnehmer in seinen amerikanischen Bann. Das Thema war Akkorde und deren stilgerechte Anwendung, gerade im populären Stil. Chris begann mit Erläuterungen und Tipps zu dem Gebrauch der linken Hand und erweiterte dann die Lektion um passende Verwendungen der Anschlagshand. Die Teilnehmer machten begeistert mit, und die Diskussion und das Ausprobieren gingen auch anschließend eifrig weiter.
Zwei weitere Mitmach-Workshops am Samstagnachmittag gaben Christian Schmitt und Jan Masuhr. "Schmitti" gab spannende Erläuterungen und Vorführungen vieler mehr und auch weniger bekannten Perkussionsinstrumente. Es ging nicht nur um klangliche Aspekte, sondern auch um Hintergrundinformation über praktische Aspekte (sein Beispiel: schwer zu spielende Kastagnetten, wofür es aber überzeugenden und realistischen Ersatz gibt) und sogar Kaufpreise.
Jan Masuhrs Workshop hieß einfach "Musikalische Gestaltung". Wer das Glück hatte, gerade diese Veranstaltung zu wählen, erlebte eine "klassische" Musikstunde feinster Art. Mit Mitteln, die von einem Blatt Papier bis zu teuren Gitarren reichten, ließ Jan Masuhr jeden am eigenen Leib gestalterische Möglichkeiten wie laut/leiser, kurz/lang, scharf/weich und alles dazwischen, erleben. Die kurzweilige Stunde war mindestens so relevant für Plektrumspieler wie für Gitarristen und das A4 Blatt klang hervorragend...
Das Abendkonzert fing gleich mit einer weiteren erfrischend-erfreulichen Bestätigung der Qualität der langfristigen Arbeit des LV Hessen an. Musica viva aus Freigericht könnte als Vorzeigeobjekt des LV gelten. Nicht nur Dirigentin Patrizia Tarantino-Langner sondern auch das Gros der Spieler erfuhren ihre frühe musikalische und auch oft anderweitige Prägung als regelmäßige Teilnehmer an Lehrgängen und in BDZ-Orchestern. Der Vortrag war so geschliffen wie unterhaltsam, und die wunderbare E-Gitarre von Dieter Stanzel passte widerspruchslos dazu.
Danach gab das Orchester Con Favore einen Einblick in die Einstellungen und Methoden von Ariane und Wolfgang Lorch. Besonders beachtlich war die hohe Leistung der drei Gitarrensolisten, die zusammen mit dem altehrwürdigen Mandolinen- und Gitarrenverein 1923 Wickenrode e.V., unter der Obhut von Ariane Lorch neu aufgemöbelt, die "Samba Quica" aus dem anspruchsvollen "Concierto de Samba" von Klaus Wüsthoff virtuos gestalteten.
Hessisches Zupforchester (HZO) Leitung Annika Hinsche
Zweifelsohne war der Auftritt des Flaggschiffs des BDZ Hessen, des Hessischen Zupforchesters, für Konzertbesucher die Krönung des Konzertes. Die frisch ernannte neue HZO-Dirigentin Annika Hinsche stellte sich sehr überzeugend vor. Sie erbt ein Instrumentarium erster Garnitur, deren jetziges Spitzenniveau letztlich auch das gelungene Ergebnis eines nunmehr 40-jährigen Entwicklungsprozesses ist. Annika Hinsche bewies eine stark ausgeprägte Fähigkeit, die routinierten und versierten Spieler zu einer höchst konzentrierten und fokussierten musikalischen Aussage zu bewegen. Dies wurde besonders deutlich beim fulminant gespielten "Tanzstück Nr. 3" vom japanischen Meisterkomponisten und langjährigen Freund des HZO, Takashi Kubota. Das keinen Registerzug auslassende Stück, mit tatsächlichen Pauken und gefühlten Trompeten, erntete verdientermaßen lang anhaltenden Beifall.
Der zweite Festivaltag fing mit zwei ebenfalls parallel stattfindenden Workshops an. Bei dem einen referierte Stefanie Acquavella-Rauch über den Komplex "effizientes Üben". Didaktisch gut durchdacht und auf viel persönlicher Erfahrung basierend leitete sie einen lebendigen interaktiven Diskurs über verschiedene Faktoren von persönlichem Zeitmanagement bis hin zu instrumentalen Übungsinhalten ein. Es wurde immer wieder klar gemacht, dass effektives Üben sehr viel mit Bewusstsein und Einsicht in die eigene Persönlichkeitsstruktur hat.
Annika Hinsche nützte ihren Workshop hauptsächlich, um Veröffentlichungen vom Schweizer Komponisten Jürg Kindle vorzustellen, die sie als besonders nützlich erachtet. Die Bände "Fingerfood I + II" stellen attraktives praktisches Übungsmaterial zu vielen verschiedenen technischen Anliegen vor. Annika Hinsche führte vieles selber, auch mit Erläuterungen, vor und gab dabei Einsichten in ihre eigene technische und didaktische Weltanschauung.
Das anschließende Sonntagsmatineekonzert begann mit Musik von vier der klangvollsten Zupfmusiknamen des 20. Jahrhunderts, Konrad Wölki, Gerd Luft, Cesar Bresgen und Siegfried Behrend. Deren Musik wurde musikantisch und stilsicher vorgetragen von den gesammelten Kräften zweier inzwischen fast seit einhundert Jahren bestehenden Ensembles, des Wiesbadener Mandolinenorchesters "Taunusfreunde 1921" und des Mandolinenvereins "Musikfreunde 1928" e.V. Sulzbach (Taunus), geleitet vom seit 2002 ständigen Dirigenten der Wiesbadener, Ulrich Schlosser.
Einige der Spieler des darauffolgende Herkules Ensembles Kassel sind wohl länger im Geschäft, aber das Orchester selbst wurde erst 2011 in Kassel gegründet, wo auch die Konzertmeisterin und Solistin Tamara Poveschenko Mandoline studiert hat. Dirigentin Ornela Dukic hatte zwei stilistisch ganz verschiedene aber beide wohlklingende Stück ausgesucht. Nach der gefälligen Serenade von dem seinerzeitigen Thomaner, Jürgen Golle, tat es vielen Zuhörern gut, wieder mal einen vertrauten und von jedem Zupfer irgendwann gespielten Renner zu hören, die Studie Nr. 2 vom unvergesslichen ehemaligen hessischen Landesmusikleiter Fred Witt.
Das Finale des dritten Konzertes des Festivals gestaltete das 1. Mandolinenorchester Langen e.V. unter der Leitung von Uwe Ochs-Bliedtner. Das von den routinierten Langenern selbstverständlich unterhaltsam und einfach gut gespielte Programm war erfrischend bunt. Deutsche Zupfer kennen natürlich Ralph Paulsen-Bahnsen ("Stompin’ Maggie 69"), vielleicht aber weniger den in Argentinien geborene Franzose Raúl Maldonado ("Milonga y Tango Antiguo") und den extrem fleißigen, akademisch geschulten Amerikaner James V. Kellaris ("Kalamazoo Swag"), der derzeit im US-Bundesstaat Ohio lebt oder sogar David "Dawg" Grisman.
Das Abschlusskonzert am Sonntagnachmittag war auch für die eventuelle Vorstellung von Workshop-Ergebnissen angedacht. Davon machte nun Ariane Lorch Gebrauch, deren Teilnehmer vom Bodypercussion-Workshop des Vortages das dort Erlernte zum Besten gaben. Diese die bisherige konzentrierte Konzertstimmung aufhebende unterhaltsame Mischung aus Klang und Bewegung wurde vom inzwischen geradezu ausgelassenen Konzertpublikum, das schließlich auch zwei sehr konzentrierte Tage diszipliniert verbracht hatte, in fröhlicher Anerkennung mit großem Beifall bedacht. "Aufmischen und in Bewegung bringen" wurde jedenfalls bei diesem Programmpunkt sehr deutlich umgesetzt und leitete perfekt in die letzte musikalische Darbietung des Musikfestes über.
Der Anfang des Endes des schönen und gelungenen Musikfestes gehörte wiederum zwei zusammen auftretenden Ensembles und zwar dem Mandolinenorchester 1966 Eberstadt e.V. und dem Mandolinenorchester des Wanderclubs "Edelweiß" Dudenhofen 1923 e.V., dessen Dirigentin Birgit Pezza neuerdings auch das Eberstädter Orchester leitet. Man nutzte die heutzutage seltene große Besetzung, um ein stark niederländisch geprägtes Programm zu präsentieren. Nach zwei Originalwerken für Zupforchester der Niederländer Emiel Stöpler und Danielle de Rover, kam zum Schluss zwar ein Stück eines Italieners, dem bekannten Pianisten und Komponisten speziell von Filmmusik, Ludovico Einaudi – aber selbst hier hieß der Bearbeiter Alex Timmermann, also ebenfalls ein Niederländer. Die Spieler, wovon viele ebenfalls seit Jahren oder gar Jahrzehnten die Weiterbildungsmaßnahmen des BDZ in Anspruch nehmen, glänzten mit technischem Können und Musikalität; Birgit absolvierte den Auftritt wie gewohnt mit gelassener Souveränität.
Jugendzupforchester Hessen (JZOH) Leitung Ariane Lorch
Nun konnte Ariane Lorch erneut ihre schon erlebten Fähigkeiten in ihrer neuen Rolle als Dirigentin des lange von Sabine Geis geleiteten Jugendzupforchesters Hessen unter Beweis stellen. Die zahlenmäßig starke, vollkommen neu zusammengestellte, Jugendtruppe spielte zuerst Musik von Grieg und Salieri. Nach so wohlklingenden Tönen wirkten Auszüge aus Oliver Kälberers "Machine" besonders dramatisch und effektvoll. Der Komponist, der zugegen war, konnte am entgegengenommenen Beifall teilnehmen, indem er sich bei Orchester und Dirigentin bedankte.
Offizieller Schlusspunkt waren Auszüge aus "Indian Summer" von Klaus Schindler, der auch die Griegsätze bearbeitet hatte. Kaum war der letzte Hall verklungen, erklangen spontane Bravorufe, denen sich das ganze Publikum sofort anschloss. Die jungen Künstler bedankten sich mit dem ausdrucksstarken "Rock Trap" - bei lebhaft-perkussivem Körpereinsatz!
Der erleichtert strahlenden ersten Vorsitzenden des BDZ Hessen, Gisela Schmidt, die während der beiden Tage die Moderation der Konzerte und Rahmenansagen übernommen hatte, blieb nur noch, sich herzlich bei der Landesmusikakademie Hessen und bei allen Mitwirkenden, Helfern und Zuhörern zu bedanken. Und das war’s − bis zum nächsten Mal.
Keith Harris, Marburg
Epilog (Gisela Schmidt):
Nicht unerwähnt soll das im Anschluss an das Samstagabendkonzert im Konzertsaal und Foyer stattfindende gesellige Beisammensein aller Akteure und Besucher bleiben. Die Stimmung war bestens und als einige Nimmermüde unter den Anwesenden zur Gitarre, E-Gitarre und Mandoline griffen, erreichte die "Zupferparty mit stimmgewaltigem Festivalchor" unter der Regie von Ulrich Biebel (MO Dudenhofen) ihren Höhepunkt. Besonderen Dank sagen wir an dieser Stelle dem Team der Hessischen Landesmusikakademie Schlitz für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und natürlich allen, ohne deren Mitwirken, Mitdenken und Mithilfe eine solche große Veranstaltung nicht zustande gekommen wäre.
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